Wenn Titel führen
In unserem Sprachgebrauch nutzen wir gerne die Redewendungen einen „einen Titel führen“ oder „eine Position inne haben“. Aber stimmt das wirklich ? Ich habe zumindest leise Zweifel.
Im Rahmen einer Auftragsklärung mit einem Kunden, antwortete dieser auf eine Nachfrage von mir : „Als CEO muss ich das so handhaben“. Spannend, wer führt hier eigentlich wen ? Der Mensch den Titel CEO oder der Titel den Menschen. Hat mein gegenüber eine Position inne oder hat die Position Besitz von ihm und seinem Verhalten ergriffen. Der Titel als „böser Geist“ ? Eine zunächst seltsam erscheinende, aber vielleicht dennoch passende Beschreibung.
Etymologie
Wie so oft bei solchen Irritationen bemühe ich zunächst einmal wiktionary.org und gucke mir die Wortherkunft genauer an. „Führen“ kommt aus dem Hochdeutschen für „fahren“ und hat sehr viele verschiedene – nicht zuletzt auch in Führung - Bedeutungen. Gemeinsam ist den meisten aber eine Bedeutung im Sinne „in eine Richtung leiten“. Man könnte also meine Frage auch umformulieren in „wer fährt hier eigentlich mit wem“ oder „wer leitet wen in eine Richtung“? Mensch oder Titel ?
Bei „inne haben“ ergibt sich ein ebenfalls spannendes Bild. Eine Wortherkunft aus dem althochdeutschen von dem Begriff „innehaben“ im Sinne vom „im Körper behalten“ ist möglich. Also da kommen sie her, die „bösen Geister“ in Form einer Position, die der Mensch „im Körper behält“.
Der böse Geist
Wenn wir uns neuen Menschen vorstellen, spielt - unabhängig ob „wer bist Du“, „was machst Du“ oder eine andere Frage gestellt - zumeist unser Beruf und der Jobtitel eine zentrale Bedeutung. Manchmal scheint es, je „höher“ die Position, desto stärker der innen wohnende böse Geist. Wir reduzieren uns auf eine Position anstatt zu beschreiben, wer wir SIND. Wie angenehm im Vergleich dazu die Vorstellung unter Maori, die neben Namen u.a. den Herkunftsort, den nächstliegenden Berg und Fluss dazu, den Namen des tribes und die Bedeutung und Errungenschaften der Ahnen beinhaltet. Der Mensch als Ganzes, frei vom Zwang sich über Beruf und Titel zu definieren.
Viel schlimmer aber als bei der Begrüßung wird es, wenn Titel, wie im Eingangsbeispiel, zur Handlungs- und Verhaltensmaxime werden. Ich mache etwas, nicht weil ich es als Mensch für richtig halte, sondern weil es von meiner Position erwartet wird. Egal ob von anderen oder mir selber. Ich entsubjektiviere mich und mache mich zum Objekt. „Der CEO musste so entschieden“, „Die Geschäftsführung konnte nicht anders, als …“. Ich spreche von mir selber in der majestätischen 3 Person Singular. Ich entkoppele mich von der Entscheidung, von der Verantwortung dafür und gebe meinen persönlichen freien Willen an der Titelgarderobe ab.
Ein möglicher Ausweg
Am Anfang eines persönlichen Veränderungsprozesses steht oft eine umfassende und tief greifende Selbstreflexion. In aktuellen Beiträgen zum Thema Leadership wird die Fähigkeit von Führungskräften, sich selber zu reflektieren als eine der Kernkompetenzen benannt. Aber was ist das eigentlich genau, diese Selbstreflexion, woraus besteht sie und wie mache ich das überhaupt ? Dazu sind sicherlich ganz verschiedene Deutungen zulässig. Nach wikipedia „bildet Selbstreflexion die Fähigkeit aus, auf einer Ebene der Vorstellungskraft die verschiedensten Aspekte in Bezug auf unser Selbst zu erkennen.“
Hier wird also eine Fähigkeit beschrieben, die uns helfen kann, unser „menschliches Ich“ von unserer „Position“ oder unserem „Titel“ zu trennen. Wir sehen uns ohne unseren „bösen Geist“ so wie wir sind und können daraus ableiten wer wir sein wollen und wie wir dahin kommen können.
Wenn ich mich selber betrachte, hat genau das meinen Veränderungsprozess der letzten drei Jahre befeuert. Zu erkennen, wer ich selber bin, was ich selber wirklich wirklich will und den Weg zu gehen. Dem Geschäftsführer immer wieder zu sagen „du bist jetzt mal still“ und mich von Position und Titel immer mehr zu lösen, wenn ich Entscheidungen treffe. Das ist Reflexion, die zu neuen Erkenntnissen führt.
Ich bin übrigens Nicolas, geboren in Solingen, mitten im bergischen Land, unweit des Flusses Wupper. Mein Stamm ist der der Korte, viele meiner Ahnen waren Pioniere, einer hat im Heimatdorf die ersten Strommasten gesetzt und mit Leitungen belegt, ein anderer englische Motoren in Messerschleifmaschinen eingebaut. Mein Vater war, wie es zu meiner Heimat passt, über 25 Jahre Messerschleifermeister. Er war der jüngste Kreisvorsitzende eines Fußballkreises in Deutschland und hat für seine ehrenamtliche Jugendarbeit das Bundesverdienstkreuz bekommen.
Das alles bin ich – wer bist Du ?